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Fremde Tiere beobachten

„Für die Comicleute machen wir ‚Kunstkacke’ und für die Künstler sind wir zu narrativ„, sagt Kai Pfeiffer. „Irgend-wie sitzen wir zwischen den Stühlen„, so Ulli Lust. Aber das sei kein Problem, meinen die beiden Berliner. Schließ-lich müsse man sich nicht immer einer Szene zugehörig fühlen, wenn man machen will, was einem Spaß macht. Im Fall von Lust und Pfeiffer seien das nun mal – je nach Blickpunkt: kunstvolle Comics oder comicartige Kunst. Überdies müssen sich der Blondschopf Pfeiffer und die ganz in grün gekleidete Lust über mangelnde Aufmerk-samkeit nicht beklagen: Sie gehören derzeit zu den gefragtesten Comiczeichnern in Deutschland. Sie haben Bücher herausgebracht, die laut Spiegel „nicht nur die Comic-Szene aufhorchen lassen„, haben Preise einge-heimst und ihre eigenwilligen Bildergeschichten auch in Museen und Galerien ausgestellt. Im Frühling haben sie ein Monat im Artist-in-Residence-Programm des quartier 21 verbracht. Die Einladung kam von „Kabinett für Wort und Bild„, jenem Veranstaltungsraum im MuseumsQuar-tier, der neuen Tendenzen in der Comickultur verpflichtet ist. Bis 30. Juni sind dort die Bilder, die während des Wien-aufenthalts entstanden sind, zu sehen. „Wir sind in Wien als Comic-Reporter mit spitzer Feder unterwegs„, verspricht Lust. Mit diesem Genre haben sich die Zeichner und ihr Label „Monogatari„ einen Namen gemacht. „Monogatari„ heißt auf Japanisch „Geschichten erzählen„ und ist ein loser Verbund von sechs Absolventen der Berliner Kunsthochschule Weißensee. „Alltagsspio-nage„, der erste Sammelband des Teams, erschienen 2001, umfasst skurrile bis nachdenkliche Reportagen aus dem Ber-liner Alltag. Wie Journalisten haben Ulli Lust, Kai Pfeiffer, Jens Harder, Tim Dinter, Kathi Käppel und Markus Witzel, genannt Mawil recherchiert und ihre Beobachtungen in pointierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen verdichtet. Die 36-jährige Lust etwa hat Wochen in einem Einkaufszentrum verbracht, und in schwungvollen Bildern quengelige Wohl-standskinder mit ihren entnervten Eltern verewigt. Unter dem Titel „Kurfürsten Da Da Damm„ hat der 29-jährige Kai Pfeiffer Glanz und Elend von Berlins berühmtestem Bou-levard in verhuschten Strichen festgehalten. „Wir schauen dorthin, wo die meisten einfach wegschauen„, sagt Ulli Lust und Kai Pfeiffer fügt hinzu: „Es ist der Blick des Zoologen, der fremde Tiere beobachtet.„Jeder der sechs „Monogataris„ hat einen eigenen Stil, sie machen sowohl gemeinsam als auch einzeln Projekte. „An der Uni wollte man uns einreden, dass wir mit Comics nichts erreichen werden„, erinnert sich Lust. Die Comic-Gemeinschaft hat das Gegenteil bewiesen: Die Künstler beliefern, wenn sie nicht gerade eine Ausstellung vorbe-reiten, auch Zeitungen wie die FAZ oder den TV-Kanal Arte, sie machen Comicserien – wie etwa „Der Columbo von Neukölln„ im Berliner Tagesspiegel – gestalten Inter-netseiten, Trickfilme und CD-Cover.Der Ehrgeiz von Lust und Pfeiffer geht aber in Richtung gezeichnete Literatur: „Man kann jede Form von Literatur auch mit einer Bildergeschichte darstellen„, ist Pfeiffer überzeugt. Ein gezeichneter Roman wird das nächste Projekt von Lust und Pfeiffer: „Wir wollen Bilder für Leser zeichnen.„

Petra Rathmanner ist freie Journalistin und lebt in Wien.